Kapitäninnen
von Rike Bolte
Rike Bolte, Lateinamerikanistin und Organisatorin des mobilen Poesiefestivals Latinale, hat nach Autorinnen des Buchmesse-Gastlands Ausschau gehalten.
In den achtziger Jahren fragt Luisa Valenzuela mit dem Biss eines
ihrer Nano-Texte – Titel: “Pregunta: ¿quién capitanea…”, im Jahrtausend
zu einem bloßen “P&R” zurechtgefiedert – wer da einen
herrschaftlich über gespiegelte Luft dahingleitenden Dreimaster anführe.
Morgan ist’s, und an seiner Seite Señora la Fata Morgana. Valenzuela
begeistert sich noch in anderen Minis für imaginäre Piraterie. Frankfurt 2010: Wer führt auf dem Zehnmaster, 578.000 qm Grundfläche, ins argentinische Meer der literarischen Illusionen?
Da wird Valenzuelas Roman “Morgen” verschifft (Edition Milo). Es geht
stromaufwärts, achtzehn dem textuellen Terrorismus verschriebene Damen
sind an Bord. Der Morgen wird gekapert, die Texterinnen arrestiert, ihre
Stimmen ausgemappt. Bleibt ein Laptop als kommunikative Insel und
berichtet fortan von der residualen Odyssee, wenngleich die
biblioklastischen Schärgen auch hier noch ihre Arbeit tun, bis Hacker
und andere Agenten in wirkungsvolle Kontra-Aktion treten.
Wer eskortiert Valenzuelas Verschiffung nach Frankfurt 2010? Stechen
weitere Fatas und Morganas in See? Ein spiegelnder Blick genügt, um
festzustellen, Morgans gibt es einige, Piratinnen könnten es mehr sein.
Doch die jungen darunter, sie mausern sich. Blick durchs Fernrohr:
Samanta Schweblins “Die Wahrheit über die Zukunft” (Suhrkamp) verspeist
lebendige Vögel, in Laura Alcobas “Das Kanichenhaus” (Suhrkamp) wird
eine Flugblattdruckerei zur Kaninchenzuchtstätte umdeklariert. Maria
Sonia Cristoffs Reportagen, “Patagonische Gespenster” (Berenberg): so
reicht eine Chatwin die Hand! In Lucía Puenzos “Der Fluch der Jacinta
Pichimahuida” (Wagenbach) klappert eine argentinische Twiggy delirant
gegen die Gespenster einer virtuellen Vergangenheit an; in Eugenia
Almeidas “Der Bus” (Stockmann) hält keiner mehr an, während in Lola
Arias “Liebe ist ein Heckenschütze” (Blumenbar) motorisierte Amazonen
sich das Herz aus dem Leibe heizen. In Mariana Enríquez “Verschwinden”
(Hans Schiler) steht jemand schließlich am Rande des Strudels. Bordbucheintrag:
den großen Fischen sei das Verschiffen, auch jenes der in Argentinien
schon lange äußerst stimmkräftigen Morganas (Valenzuelas
Ko-Texterinnen!) weiter empfohlen. Die wendigen Fische sichten ihre
Beute auch ohne Empfehlung. Gratulation!
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